Rogier van der Weyden
Verkündigung um 1450
Leuchtende Ölfarbe - der Vorsprung im Norden
Sehen Sie die dazugehörende große Tafel in der Mitte
mit der prachtvollen Darstellung der heiligen Drei Könige - klick
Unten: Rogier van der Weyden, Verkündigung um 1450
Etwa 10 Jahre nach dem Bild des Mönches Fra Angelico entstand die "Verkündigung" des Niederländers Rogier van der Weyden. Welch ein unterschied!
Fra Angelico ist bereits frei von mittelalterlichen Vorstellungen. Seine Verkündigung ist eine Begegnung zwischen dem Boten Gottes und einer schichten, in sich gesammelten, im Unterleib noch versiegelten, nach "vorne" offenen jungen Frau ihrer Zeit - diese zeichnerische und farbliche Darstellung ist in der Kunstgeschichte einzigartig!
Das Bild aus dem Norden ist anders: damals "modern" in Technik, Komposition und Ausführung. Farbprächtige Ölmalerei - in Italien erst seit 1475 bekannt! Es ging um das Geheimnis, wie das Öl als Tempera für die Farbpigmente getrocknet werden konnte (durch giftige Mischungen!).
Der Fluchtpunkt der eben entdeckten Zentralperspektive - ein Punkt oberhalb der monstranzartigen Zeichnung im Bett Mariens, am Kopfende! Die Natürlichkeit des Faltenwurfes der Kleider, des Haares, des Bettes einer Jungfrau, "die noch keinen Mann erkennt". Das unglaublich zarte Eindringen des Heiligen Geistes durch das offene Fenster in das Bett Mariens!
Überhaupt nicht modern und sogar der alten Ikonendarstellung verhaftet: der fliegende Engel ohne Füße (in der Ikone hätte er ein eigenes Podest bekommen), der Botenstab Gabriels und das Botendiadem im Haar, das flatternde erregte Kleid des Engels, die abwehrend/einladende rechte Hand Mariens, und die in ganz Europa bekannten kostbaren Stoffe der damaligen Niederlande in einem aufwändigen Faltenwurf, bei Maria auf einem kostbaren Teppich am Fliesen-Boden.
Neue Symbole: die weiße Lilie (oft sehr sinnvoll mit einer roten Rose verbunden!), das Buch der damals entstehenden Buchsucht und des neu erfundenen Buchdruckes. Kostbare Kleider, offene Haartracht, niederländisch/nördliche Hauseinrichtung, das Bett empfunden zwischen Sex und Fernseh-Couch. Ebenfalls eindringlich das ober dem Bett vorläufig in einem Knäuel aufgerollte Tuch der Wahrung von Intimsphäre - "da ich keinen Mann erkenne" (dessen englisch-rotes Kissen liegt noch ungebraucht neben dem Bett). Und höchst überraschend, doch meditativ von Bedeutung: am Betstuhl Mariens in einem Halbrelief der Paradiesesbaum mit Adam und Eva
Ich kann nur eines sagen: Legen Sie solche Bilder nach dem "Erkennen" nicht einfach weg, sondern dringen Sie geduldig ein durch Meditation und innere Seelennähe. Und Sie werden Neues erfahren - im Bild und tausendmal mehr für ihr Leben!
"Der Engel des Herrn brachte Maria die Botschaft" - Bilder wie dieses von Rogier van der Weyden oder von fra Angelico, streng vom Norden Russlands Ustjug und wunderbar als Ikone von Ohrid. Eine Verkündigung zu malen war ein Traumauftrag für die Künstler, das Edle der reinsten, mädchenhaften Weiblichkeit - oft mit der Burgunder Lilie als Symbol verbunden.
Fra Angelico - Verkündigung an Maria 1440
Vgl. die ausführliche Beschreibung von Fa Angelico
(auch vom gleichzeitigen Bild von Campin) - klick
Die Szene spielt sich in einer zweiseitig offenen Säulenhalle ab, mit einem in jener Zeit modernen zentralen Blick in zentraler Perspektive (der Fluchtpunkt ist der Mund eines Engels). Ein sanftes Licht erhellt den Raum rund um den Engel. Zum ersten Mal befinden sich der Engel und Maria nicht auf einer Ebene, sondern diagonal in dieser Position. Die ionischen und korinthischen Säulen markieren einen wichtigen Teil des Raumes. In diesem Raum gibt es keine anderen Dekorationen, keine Tauben, keine Engel oder Maria.
Detail - einfach und fein der Pinselstrich .
Zwischen Loggia und Außenwelt gibt es einen deutlichen Kontrast, hell dunkel, intim und verwildert. Links und im Hintergrund ist üppiges, dunkles Grün zu sehen.
Ein mächtiger Palisadenzaun grenzt einen geschlossenen und blumenreichen Garten von einer ungepflegten Wildnis ab.
Diesen Zaun finden wir auch auf vielen Bildern eines modernen Malers, Marc Chagall, der dadurch sein "Schtädtel" schützt, Innenhof und Stube.
Fra Angelico kannte die mittelalterliche Symbolik Mariens als verschlossenes Paradiesgärtlein, in dem Lilien der Reinheit und rote Rosen der Barmherzigkeit blühen: "Ein verschlossener Garten ist meine Schwester Braut, ein verschlossener Garten, ein versiegelter Quell" (Hld 4,12).
Mariä Verkündigung, Schloss Tirol (Burckhard Mücke, Foto 2017)
Verkündigung Schloss Tirol Kapelle, entstanden um 1370/73
Dem Urheber und Fotographen dieses einzigartigen Bildes sei gedankt, er schenkt uns ein Bild an der Schwelle zwischen Mittelalter und Neuzeit. Dies wird dargestellt im Symbol des Buches, in der Hand des Engels mit dem Siegel Gottes (das Diadem in seinem Haar nach Ikonentradition weist auf Gott!) und der lesbaren lateinischen Schrift "Ave Maria" sowie verspielt bis ein wenig stolz die Jungfrau Maria mit ihren druckneuen Büchern.
Ikonentradition zeigt der stürmische Schritt des Engels und der bewegte Kleidersaum, der senkrecht aufschwingende Mantel sowie die Flügel in Flugbewegung. Der Schritt des Engels kommt in Ikonen nur mehr beim Auferstandenen vor, der Adam und Eva und alle Erlösten bei seiner Höllenfahrt in der Auferstehung an den Händen aus der Unterwelt reißt. Die umgekehrte Perspektive - erst fast ein Jahrhundert später entsteht die Perspektive mit dem Fluchtpunkt in der Ferne.
Das Inkarnat sowie der Zopf Mariens sehr menschlich - ein Bild zum Betrachten. Suchen Sie doch dieses fast unglaublich schöne Bild (auch zum Studieren z. B. die feine Ziselierung des Goldgrundes und zur Meditation) unter diesem Klick
Danke dem Forscher auf Schloss Tirol vom Verfasser und Webmaster dieser Website in Meran - rein aus Liebhaberei zum Thema.
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