Hildesheim - Die Bernwardstüren
"Die Frau hat Schuld!"
Sündenfall,
Vertreibung aus dem Paradies (1015)
Die Bernwardstüren in Hildesheim, mit dem ganzen Ensemble zum Welt-kulturerbe gehörig, sind mit ihren fast zwei Tonnen Gewicht sowie mit einer unglaublich leichten, freien, modern anmutenden künstlerischen Gestaltung geradezu unglaublich für das Mittelalter um 1050. Dreidimensional als Relief, sparsam gezeichnet und sicher modelliert, expressionistisch in der ganzen inneren Dramatik - herrlich!
Adam: "Ich bin unschuldig, Eva hat mir gegeben!" Aber wie nackt ist er, er presst das Feigenblatt auf seine Scham, aber der gebeugte Körper und der ins Leere gehende Blick sprechen von Schuld und seine Rechte steckt er unter der Linken durch - SIE ist schuld, lass mich in Ruhe!
Eva braucht schon die Rechte, sich zu bedecken. Doch sogar die Füße beben - es soll nicht obszön klingen, aber der Schwanz der Schlange steckt noch zwischen ihren Beinen! Ihr Blick sucht Gott den Richter, an Adam vorbei, ihre Linke sagt alles: "Die BESTIE, verstehe doch, nicht ich!" Und der nackte Rücken, er muss den Fluch der Sünde tragen.
Die Schlange, zusammengerollt, hämische Siegerin - doch verflucht wird sie. auch der Baum mit den verbotenen Früchten wendet sich ab, der Paradiesesbaum in der Mitte ist zerstört, vertrocknet. Die plastische Szene vor dem kahlen und kalten Bronzehintergrund, wesentlich und sparsam wie auf einer leeren Kulisse, wie in einem Albtraum gezeichnet, modelliert, schauspielerisch dargestellt, wirklich wert und würdig als Weltkulturerbe!
Und jetzt? Eva zeigt der Zukunft noch ihre Hinterseite, aber Adam ahnt schon, wohin es gehen wird. Und doch - es bleibt die Sehnsucht nach dem Paradies! Was jetzt kommt, hat nicht Gott gewollt, sondern der Mensch verursacht! Sünde und Schuld, Leid und Streit wird es geben, Schweiß und Tränen.
"Der Verlust des Paradieses hat Folgen: die Entfremdung des Menschen von Gott, den Tod, die Mühsal irdischen Lebens und das Spannungsverhältnis zwischen Mann und Frau... Der Mensch hat eine Sehnsucht danach, dass es besser sein könnte, als es ist. Das ist die Sehnsucht nach dem Paradies." (Inga Knapp)
Hildesheim - Bernwardstüren"
(die Frau hat Schuld!")
Aus der Bibel:
Als sie Gott, den Herrn, im Garten gegen den Tagwind einherschreiten hörten, versteckten sich Adam und seine Frau vor Gott unter den Bäumen des Gartens.
Gott, der Herr, rief Adam zu und sprach: Wo bist du?
Er antwortete: Ich habe dich im Garten kommen hören; da geriet ich in Furcht, weil ich nackt bin, und versteckte mich.
Darauf fragte er: Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du von dem Baum gegessen, von dem zu essen ich dir verboten habe?
Adam antwortete: Die Frau, die du mir beigesellt hast, sie hat mir von dem Baum gegeben und so habe ich gegessen.
Gott, der Herr, sprach zu der Frau: Was hast du da getan? Die Frau antwortete: Die Schlange hat mich verführt und so habe ich gegessen.
Da sprach Gott, der Herr, zur Schlange: Weil du das getan hast, bist du verflucht... Staub sollst du lecken... Feindschaft setze ich...
Zur Frau sagte er: Viel Mühsal bereite ich dir...
Zu Adam sagte er: Unter Mühsal wirst du vom Ackerboden essen...
(Genesis 3,8-14 und folgende Verse)
Domportale sind immer symbolträchtig, oft Mariä Verkündigung und die vier Evangelisten, reiche biblische Themen.
Bronzeguss im Mittelalter, Hildesheim Bernwardstüren, Autun, Eva von Gislebertus
Paradies und Sündenfall, Verona - San Zeno, nackte Eva Mittelalter, Bronzetore, Kirchenportal, Domtore
Dreimal Eva nackt - aber je anders: Hildesheim, Autun, Verona
Gislebertus: Eva von Autun
Gislebertus, Eva die Verführerin, Kathedrale Autun 1130
Eine nackte Frau schlängelt sich durch üppiges Ranken- und Laubwerk nach vorne, unser Auge muss sich erst daran gewöhnen, besonders bei einer unzureichenden Abbildung. Knie und Ellbogen tragen den fleischigen und doch schwerelosen Körper, der von der Taille aufwärts in höchster Kunst und fast vibrierender Sinnlichkeit gestaltet ist. Von unten stützt ein fester Steinbalken, von ganz hinten gibt eine glatte Fläche Relief. Wie in einer Wabe entwickelt sich Leben pur! Die Szene entfaltet sich in drei Ebenen: Vorne der "Paradiesesbaum in der Mitte" sowie rechts der Baum der verbotenen Früchte (für den Künstler zwei tiefe Bedeutungen, also auch zwei Bäume), mitten drin die sich nach vorne schlängelnde und ewig weibliche Eva, im Hintergrund paradiesische Vegetation mit verführerischen Früchten.
Eva greift fast automatisch mit dem überlangen linken Arm nach hinten, sie hat die Frucht schon fest in der Hand, sie wird sie Pflücken und dann ihre Sachen anstellen. Die Rechte tastet an ihr Gesicht, berührt und weckt es - was geschieht da? Zwei Bewegungen, zwei Aussagen: Schuld und Sünde, Begierde und Bestrafung, Erwachen und Angst. Sie will es eigentlich nicht, "es zieht sie hin" - doch es geschieht, und ihre Unschuld bebt und zittert, es ist geschehen! Die Frau ist geweckt und sagt "...ich?" Und seitdem gibt es eigentlich erst Leben und Sterben, Liebe und Hass, Zeit und Vergehen, Liebkosung und Vertreibung, Ursünde und Erlösung. Und so geschieht es noch bis heute, nicht nur für Eva!
Faszinierend ist der Ausdruck ihres Gesichtes: abwesend weil in die Ferne konzentriert (hat sie die Befürchtung, das Verführerische würde nicht wieder kommen?), träumend und doch raffiniert (am besten der Verführung nachgeben, um sie loszuwerden?), oder sucht sie einfach Adam - "cherchez l'homme"? Eine kunstgeschichtliche Deutung geht allerdings davon aus, dass es ursprünglich im Türtympanon zu Autun ein paralleles Tiefrelief "Adam" gab, dass aber die beiden Figuren von einem großen Paradiesesbaum in der Mitte jeweils nach links und rechts außen zeigten, also Entfremdung zwischen Mann und Frau durch die Sünde! Nicht zu übersehen die Details: offene Augen, zärtlich schmeichelndes Haar, eine weiche und beinahe atmende Haut - Eva herrlich in natura!
Und die Schlange? Die rankenförmigen, fast schuppenschillernden Baumstämmchen deuten darauf hin. Teufel vor dem Kopf, Teufel, der die Füße fesselt oder lupft, sogar ein Teufel im Hintergrund von unten hinauf quer durch das Herz. Aber eohl eher deuten auf den Teufel die vielen schlangenförmigen Bewegungen der Komposition - versuchen sie doch einmal. mit dem Finger über den Leib Evas zu fahren, über Hände und Beine, über die Baumstämme und das schwankende, beinahe schwimmende Rankenwerk.
Die nackte Eva war wie die anderen weltberühmten Reliefs der Lazarus-Kathedrale in Autun den Kanonikern des 18. Jahrhunderts nicht mehr recht.
Wohl nicht wegen der weiblichen Nacktheit, sondern wegen des "barbarischen" mittelalterlichen Stils.
Sie ließen alles meterdick eingipsen oder entfernen. Dadurch blieben die Kunstwerke allerdings den Barbaren der Französischen Revolution verborgen.
Unsere Eva wurde als Baumaterial, recycling, in einem Haus von Autun wiedergefunden - sie sucht allerdings bis heute ergebnislos nach dem verschollenen Adam.
Eva ist heute das Paradestück des Musée Rolin in Autun.
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