Leonardo da Vinci
Das Letzte Abendmahl (1494/98)

 

NB: Das Original des Bildes (nach der Restaurierung 1999!) 

 

21 volle Jahre war in Mailand an der Restaurierung des „Letzten Abendmahles“ von Leonardo da Vinci gearbeitet worden, mit den besten Restauratoren und den modernsten Mitteln der heute weit fortgeschrittenen Technik. Als 1999 das Werk wieder besichtigt werden konnte, war es wirklich wie neu. Keine Spur mehr von den vergangenen Restaurierungen und Übermalungen, obwohl das eher matte originale Aussehen unkundige Beobachter auch heute noch zuweilen enttäuscht. Jeglicher Schimmelpilz war aus den feinsten Rissen gekratzt und alle Leimspuren beseitigt worden, denn schon manchmal hatte man dadurch das Bild „retten“, aber z.B. auch von der Wand lösen und anderswo anbringen wollen. Manche Apostel erschienen jetzt von einem später dazu gemalten Bart befreit, originale Farben kamen wieder zum Vorschein, eher verhalten und „sfumato“ allerdings (typisch und unnachahmlich bei Leonardo!), nicht mehr so grell und fast kitschig wie später oft nach jeweiligem Zeitgeschmack „restauriert“. Die Gesichter wurden von Verformungen befreit, bei Matthäus z.B. wurden wieder die ursprünglichen blonden Haare entdeckt und genauso die Füße der Apostel unter dem Tisch. Man kann wieder Frisuren, Locken und die Bewegung der Hände und Füße erkennen, wahrhaftiger als vorher. 

In den ersten Jahrzehnten nach 1498 waren vor lauter Bewunderung überall in Europa wertvolle Kopien von diesem Meisterwerk des Universalgenies Leonardo da Vinci entstanden. Aber dann gab es auch gefährliche Momente dafür, z.B. als von den Dominikanern selbst die kleine Tür zur Küche unter dem Bild vergrößert wurde (vielleicht in der Meinung, dass das Bild wegen der Feuchtigkeitsschäden sowieso nicht zu retten sei!) und der Mauerdurchbruch dadurch einfach die Füße Jesu zerstörte. Oder als in der Besetzungszeit durch Napoleon der Speisesaal, auf dessen Nordwand das Bild gemalt ist, als Magazin und Pferdestall diente und die Soldaten mit Steinen auf die Köpfe und Füße der Apostel zielten und einigen von ihnen die Augen auskratzten, wie schon vorher in der Französischen Revolution üblich, um den dargestellten Personen ihre Identität zu nehmen. Oder als 1943 im Weltkrieg eine amerikanische 2000-kg-Bombe die Südwand des Refektoriums zerriss – doch Gott sei Dank war das Bild selber durch Sandsäcke vor den Splittern geschützt gewesen.

Die größte Gefahr hat der Meister Leonardo da Vinci selber verursacht: er malte das Bild nicht al fresco (nass, als Fresko) in den frisch aufgetragenen Verputz, denn dann hätte er zu schnell arbeiten müssen und hätte vor allem nicht mehr nachträglich Korrekturen anbringen können. Er entwickelte eine Methode, die Ölfarben al secco auf die getrocknete Mauer aufzutragen. So entstanden schon nach wenigen Jahren feine Risse und die aufsteigende Feuchtigkeit zersetzte die Farben. So begann ein Kampf zur Rettung des Meisterbildes, der bis heute andauert und einzigartige Lösungen hervorgebracht hat – obwohl der Zerfall kaum ganz aufzuhalten ist.

 

20 Jahre nach Entstehung des Originals malte Giampietrino
(lombardischer Maler aus dem Leonardokreis) detailgetreu eine Kopie des Abendmahls –
so können wir uns am besten vorstellen, wie das originale Bild von Leonardo da Vinci ausgesehen hat.

 

Wie ein Meisterwerk entsteht:

Leonardo da Vinci (1494/1498) - damals entsteht das Meisterwerk im Speisesaal des Dominikanerklosters Santa Maria delle Grazie in Mailand. Ein riesiges Bildnis, 422 mal 904 cm groß, eine geistliche Erweiterung des Refektoriums im Sinn von „Tisch des Altares und Tisch der Brüder“. Auftraggeber und Kunstförderer war der mächtige und kunstverständige Mailänder Sforza-Herzog Ludovico il Moro, für den Leonardo soeben ein großes Reiterstandbild fertig gestellt hatte.

Die Dominikaner erwarteten sich damals sicher ein Bild, wie es schon der Tradition entsprach: Jesus sitzt in der Mitte an einem langen Tisch, die Apostel steif und würdig links und rechts und schräg gegenüber Judas, der Verräter mit dem Geldbeutel. Das hat Leonardo da Vinci ganz anders gemacht: der Raum ist durch die damals mathematisch konstruierte Zentralperspektive vom Kopf Jesu aus konzipiert, alle geraden Tiefenlinien bilden sozusagen einen hervorhebenden unsichtbaren Heiligenschein um ihn. Das exakte Zentrum des Gemäldes ist die rechte Schläfe Jesu, damals galt diese als Sitz der Vernunft im Gehirn. Jesus und die Apostel sitzen vorne im Raum, so dass sie praktisch in die Brüderrunde im Refektorium eingebunden sind und herunterschauen könnten.

Der Meister verzichtet auf Heiligenscheine und reiht auffallenderweise Judas unscheinbar unter die Apostel ein („Einer von euch…“). Nach den vier klassischen Temperamenten (Leonardo schätzte diese altgriechische Deutung des griechischen Arztes Hippokrates) teilt er die zwölf Apostel in vier Gruppen ein – und wie es jetzt unter diesen originalen Kerlen (eine Heiligenschar stellen wir uns anders vor) plötzlich zugeht! Soeben hat Jesus gesagt: „Einer von euch wird mich verraten“ – der Aufruhr ist vielfältig und groß, z.B. bei Johannes, Petrus und Judas Iskariot. Die psychologische Deutung der Charakterköpfe der Apostel deutet in eine neue Zeit, die sich jetzt ganz am Menschlichen orientiert: Lebensnähe wird ausgedrückt, mit den Emotionen der Jünger, die Wut, Enttäuschung, Verzweiflung und Erstaunen zeigen.

Am besten drückt eine von Leonardo selbst aufgeschriebene Notiz aus, was er bei seinen Vorstudien suchte und dann im Kunstwerk gekonnt ausführte: „Einer, der gerade trinken wollte, aber den Becher auf seinem Platz stehen ließ und den Kopf dem Erzählenden zuwandte. Ein andrer, die Finger seiner Hände verschränkend und die Stirn runzelnd, wendet sich seinem Nachbarn zu. Ein andrer, mit offenen Händen, zeigt die Handflächen, hebt die Schultern gegen die Ohren und öffnet den Mund vor Erstaunen. Ein andrer sagt seinem Nächsten etwas ins Ohr, und dieser, der lauscht, dreht sich ihm zu und schenkt ihm Gehör, in einer Hand ein Messer, in der andern das mit diesem Messer durchgeschnittene Brot. Ein andrer, mit einem Messer in der Hand, wirft beim Umdrehen mit dieser Hand einen Becher auf dem Tisch um. Ein andrer legt die Hände auf den Tisch und starrt vor sich hin. Ein andrer bläst auf seinen Bissen. Ein andrer beugt sich vor, um den Erzählenden zu sehen, und beschattet dabei mit der Hand seine Augen. Ein andrer tritt hinter den zurück, der sich vorbeugt, und schaut zwischen der Wand und dem Vorgebeugten auf den Erzählenden.“

Gut und Böse, Liebe und Hass

 

Judas Iskariot - Salzstreuer
Ausschnitt (von links): Andreas, Judas, Petrus und Johannes

Von Leonardo wird berichtet, dass er jede Person mitsamt Charakter, jede Mimik und das kleinste Detail genau studiert und gekonnt dargestellt hat. Am auffälligsten wohl Judas, der Jesus verraten hat. Er wird vor Petrus sitzend gezeigt, der gefährlich das Messer schwenkt („Schwert gegen Malchus“). Dahinter sein Bruder Andreas, daneben Johannes als Jüngling, der zwar tief traurig ist, aber ruhig - auf ihn fällt gewiss kein Verdacht. Nach einer etwas ausgefallenen Tradition könnte man in Johannes auch Maria Magdalena sehen, das weibliche Moment in diesem Bild.

Judas ist nicht abseits gemalt, sondern als „Einer von euch …“ Er umklammert erschreckt den Beutel mit dem Blutgeld und greift mit der Linken zu Brot und Teller, sein Blick und sein Gesicht schauen verstört über Jesus hinaus. Und ein unglaubliches Detail: er stößt mit dem rechten Ellenbogen das Salzgefäß um, das bringt Unheil, heute noch würde ein Italienerin sofort eine Prise des verschütteten Salzes über die linke Schulter werfen, in das Gesicht des Teufels, der dort lauert. Besonders das Detail zeigt, wie hier Liebe und Hass, Gut und Böse nebeneinander dargestellt sind, und das eine erscheint wirkungskräftiger vor dem Hintergrund des anderen.

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