Kitsch in der Kirche
Kitsch wie überall - vielleicht kompatibel?
Mitte: Raffaello Santi, Sixtinische Madonna (Detail)
Hohe Kunst und Kitsch - nahe beieinander
Links: Herz Jesu (Margareta Maria Alacoque 1673)
Rechts: Wundertätige Medaille (Katharina Labouré 1830)
Kitsch in der Kirche?
Ja, soviel als "echt gelebt" wird!
Was ist eigentlich Kitsch? Meine Antwort: es gibt Kitsch im Menschen, also auch im Alltag und in der Kunst, also auch in der Kirche. Es ist nicht nur eine Sache des guten oder schlechten Geschmacks, auch nicht nur eine Sache seichter Gefühle. Und Kitsch funktioniert, oder? Deshalb muss man ihn ernst nehmen, und doch nicht ernst.
Vor allem: Kitsch hält die absolute Mehrheit in der Kirche,
nicht nur in Italien und Polen, auch in Amerika, Afrika und Asien! Auch in Rom!
Müssen diese Gläubigen maturisiert und doktoriert werden,
um "richtig" glauben und beten zu können?
Kitsch ist, wenn man Großes klein macht, Erhabenes niedlich, Kompliziertes einfach. Da reist z.B. ein Amerikaner nah München. Er schafft es nicht, die Geschichte Münchens zu studieren, die Kunst und den Reiz der Stadt mit Herz zu begreifen, Museen und Opfer zu besuchen. Aber er weiß schon, was er aus München mitbringen wird: ein rotes Lebkuchenherz vom Hofbräuhaus mit der Aufschrift: Wenn’s Arscherl brummt, ist’s Herzerl gsund! Womöglich noch eine Lederhose, Weißwurst und Bier – und daheim in Amerika verstehen alle, der war in München und er hat es richtig erlebt! So geschah es mit den Engeln, gewaltigen Wesen – zuerst wurden sie „nur mehr weiblich“, dann kindhaft, Putti ohne Körper, nur mehr mit Flügelchen …
Kitsch stellt eine unproblematische Welt dar. Es gibt keine verborgenen Bedeutungen, man muss nicht studiert haben, um sich seinem Genuss hinzugeben, keine Spitzfindigkeiten sind notwendig, man muss nicht zwischen den Zeilen lesen, alles liegt offensichtlich zutage. Kitsch stellt nicht Realität dar, wohl aber tiefe innere Sehnsüchte: nach einer heilen Welt, eine schöne Frau zu sein, eine schöne Frau zu haben. Die Wirklichkeit ist anders, gewiss, aber die Sehnsüchte sind auch wirklich, real, echt!
Kitsch gibt es überall, wo Menschenleben pulsiert. Nicht nur an Wallfahrtsorten und Tourismus-Kiosks, sondern auch daheim, in Italien und Polen, in der Mode und Musik, überall und zu jeder Zeit war Kitsch präsent. Kitsch gehört zum Leben, denn viele Menschen sind kitschig, ja, in jedem Menschen gibt es kitschige Schichten. Doch gibt es genauso in jedem Menschen die Sehnsucht nach dem Wahren und Schönen, nach dem Hohen und Echten. Es geht im Leben meist nicht um absolutes Weiß oder Schwarz, sondern um eine Bewegung zwischen zwei positiven Werten.
Kitsch ein positiver Wert? Als Priester lernte ich dies von der übergroßen Mehrheit religiöser Menschen, die sich in Kitsch verstanden fühlen, leben und handeln, glauben und beten. Das habe ich so gefunden in Brasilien, Indonesien und Äthiopien, im Hinduismus und Buddhismus, bei meinen verehrten Eltern und in vielen treuen Christenherzen (sehen Sie – dies ist auch ein kitschiger Ausdruck!). Wer kann behaupten, nur die hohe akademische Kunst kann Gutes, Wahres, Schönes beinhalten und darstellen? Ich selber bin kunstbegeistert, ich möchte nicht, dass alles beliebig verkitscht wird. Auch sehe ich viel hohe Kunst im Volkstümlichen, Einfachen und Spontanen. Ich bin aber überzeugt: die da beten, beten alle zu dem einen Gott, und der versteht nicht nur hohe Kunst, nicht nur Lyrik und Epik, nicht nur Ikonen und Fra Angelico.
Jesus Christus der Barmherzigkeit (Polen 1931)
Privatoffenbarung an die hl. Faustyna Kowalska
Durch Papst Johannes Paul II.
hat diese Darstellung den obersten Level von Kitsch erreicht,
von vielen werden solche Darstellungen mitsamt ihren Inhalten
nur mit großen Vorbehalten akzeptiert.
Am 30. April 2000 führte der Papst das Fest der göttlichen Barmherzigkeit ein und sprach Faustyna Kowalska heilig. Obwohl oft noch ein pessimistischer Hintergrund und eine enge Sühnefrömmigkeit vorherrscht, ist die Spiritualität der "Barmherzigkeit Gottes" in christlichem Vertrauen und in Glaube, Liebe und Hoffnung begründet.
Die beiden Gnadenströme aus dem Herzen weiß und rot (Wasser und Blut, Taufe und Eucharistie) deuten auf die Herz-Jesu-Verehrung als Wurzel hin, wie sie seit seit 1683 durch die hl. Margareta Maria Alacoque (und über 50 Jahre früher durch den einfachen, selig geprochenen Bruder von Tirol, Thomas von Oléra/Bergamo, bekannt wurde.
Im deutschen Sprachgebiet gibt es öfters eine Diskussion über „Kitsch in der Kirche“. Meistens dagegen, selten dafür. In den südlichen Ländern und in der Neuen Welt gibt es fast nur „dafür!“ Jemand hat aggressiv formuliert: Wer darf Menschen aus der Kirche ausschließen, die nicht Kunstgeschichte auf der Oberstufe gelernt haben? Klassenkampf der Gebildeten?
Es ist bekannt, dass es bei uns seit dem Konzil auch Bildersturm gegeben hat und leere, nackte Kirchen, aber auch größte Unsicherheit mit moderner Kunst. Es ist bekannt, dass es seit dem 19. Jahrhundert hauptsächlich Neuauflagen von Altem gab (neuromanisch, neugotisch usw.) und dass in der Kunst der Moderne keine religiösen Leitbilder mehr entwickelt wurden. Am besten greift man auf historische Vorbilder oder Ikonen zurück - auch auf Kinderzeichnungen.
Ein heiliges Bild kann ein subjektiv tief empfundenes und hochwertig gestaltetes Kunstwerk sein, es kann und darf (andererseits!) aber doch auch ein Gebrauchsgegenstand für die subjektive Frömmigkeit sein, ein Andachtsbild. Da bedarf es nicht so sehr der Originalität oder Avantgarde eines Künstlers als Subjekt, sondern einer allgemeinen, kulturübergreifenden, anthropologischen Menschheitssprache. Und siehe da – Bilder der Lourdes-Muttergottes und einer indischen Gottheit unterscheiden sich dann nur mehr in den Attributen.
Russische Ikone, 132 Mariendarstellungen aus Wallfahrtsorten (Ausschnitt)
Ein kampfbetonter Journalist (Martin Mosebach) hat von der weiß-blauen, wächsernen Lourdesstatue gesagt, sie sei wegen ihrer leichten Wiedererkennbarkeit geradezu zu einer katholischen Ikone passend zu unserem Plastikzeitalter geworden. Maria ist damals der Bernardette Soubirous in der Form einer zeitgemäßen Darstellung ihrer Pfarrkirche erschienen; wäre sie Fra Angelico erschienen, hätte dieser etwas Schöneres daraus gemacht. Ich selbst kenne und verehre Maria in vielen jeweils zeitgemäßen Darstellungsweisen, z.B. oben auf einer russischen Ikone in 132fach verschiedener Darstellung von Wallfahrtsorten. Der Beter reiht sich bei jeder Darstellung in den unendlichen, jahrhundertelangen Besucherstrom ein, der zum jeweils betreffenden Bild der Gottesgebärerin pilgerte. Im katholischen Raum gibt es so dichte Identifizierungskultur wie bei der Lourdes-Madonna wohl nur beim Kruzifix, das aber genauso nach Jahrtausenden und Völkern zugleich verschieden als auch identitätsstiftend war. Um mit den Begriffen des letzten Konzils zu sprechen, es geht hier um Inkulturation, und zwar in spiritueller Tiefe und pastoraler Weite - und menschwerdend auch in simpler Einfachheit.
Und in der Praxis? Als ich einmal in Padua wieder die Basilika Sant’Antonio besuchte, ärgerte ich mich über eine „moderne“, sehr kitschig gestaltete eucharistische Seitenkapelle. Ebenso in Frankreich über die überaus kitschige, allgegenwärtige Gipsfigur des hl. Johannes Maria Vianney, des Pfarrers von Ars. Ich ärgere mich heute nicht mehr über ähnliche Figuren, Lieder, Andachten, Bücher… Ich freue mich dagegen, dass auch heute noch in einer nivellierenden Massengesellschaft mein Wallfahrtsort Maria Weißenstein zwischen Petersberg und Deutschnofen aus Tourismus und auch ein wenig Kitsch hervorleuchtet, denn seit meinem sechsten Lebensjahr durften wir vier Buben mit der Mutter (der Vater hütete derweil das Haus!) jedes Jahr dorthin wallfahren, zu Fuß, mit Übernachtung im großen Heustadel, betend, auch Schwammelen suchend. Was echt ist an einem Wallfahrtsort, ist nicht Wundersucht, Geschäft, Kitsch. Solange dort gebetet wird, Umkehr und Vergebung geschieht, Trost und Mut gespendet wird, solange wird er auch das bisschen Kitsch ertragen, das viele kitschige Menschen brauchen – möge es ihnen helfen! Wenn ich an den aggressiven Umgang der Sekten mit Kitsch beobachte, freue ich mich, dass vielen Menschen durch eine niederschwellige Darstellung (Kitsch?) des Glaubens in neueren religiösen Bewegungen Heimatgefühl innerhalb der Kirche bewahrt bleibt.
Kitsch sollte nicht bestimmend werden in unseren Kirchen, aber doch eine Nische bekommen. Das Problem stellt sich vor allem im engeren europäischen Bereich, denn im allergrößten Teil der katholischen Christenheit ist Kitsch in den Kirchen etwas Selbstverständliches! So ist es. Ich nenne nochmals das Konzilswort "Inkulturation": in unseren mitteleuropäischen Ländern erfolgte die Einpflanzung und Erhaltung des christlichen Glaubens immer auf Augenhöhe mit der höchsten Kunst des Volkes, auf literarischer Ebene und in der Kunst, mit Auseinandersetzung mit Geschichte, Philosophie und Tradition. Deshalb sollten Bilder von Privatoffenbarungen nicht Platz bekommen am Blicke sammelnden Punkt eines Altars, aber in der Lourdes-Grotte oder in einer Fatima-Nische oder als Andachtsbild wie z.B. der hl. Theresia vom Kinde Jesus. Die Geschichte und Praxis der Kirche lehrt uns, dass z.B. das Herz-Jesu-Bild, ein Wallfahrtsbild, Kirchenpatrone oder z.B. der hl. Josef Freinademetz usw. sogar die Erhebung auf den Hochaltar geschafft haben. Dabei wird die künstlerische Gestaltung immer eine große, wichtige Herausforderung bleiben.
Vgl.: Katholische Kirche Vorarlberg, Markus Hofer Die Frage nach dem Kitsch (gute Stellungnahme!)
Lesenswert (evangelisch): https://www.antjeschrupp.de/kitschn
Katholische Ikonen - Privatoffenbarungen
"Ikone" ist eigentlich nicht das richtige Wort, aber es drückt doch einiges aus, das diese Darstellung wie kein anderes neuzeitliches Bildnis zu einem Erkennungs- und Identifikationszeiten katholischer Marienverehrung in einem ganz bestimmten Sinn werden ließ.
Guadaloupe 1531 Lourdes 1858 Fatima 1917 Medjugorje 1981
Allen Privatoffenbarungen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gemeinsam ist, dass "eine schöne Dame unschuldigen Kindern" erschien und mit ihnen sprach. Den armen und sozial ausgegrenzten Kindern wurde dadurch immer Trost, Freude und innerer Halt geschenkt. Zunächst stießen die Erscheinungen eher auf Skepsis und Ablehnung, aber dann entwickelte sich jeweils eine unvorstellbar große Massenwallfahrt. Wunder werden berichtet, Prophezeiungen (meist Drohbotschaften bzw. Bekehrungsaufrufe) sollen sich erfüllt haben. Die Botschaften sind seit La Salette immer ähnlich: «Wenn mein Volk sich nicht unterwerfen will, bin ich gezwungen, den Arm meines Sohnes fallen zu lassen.» Oft werden Kirche und Klerus, politische Macht und sittlicher Verfall gegeißelt - und das ist gar nicht so schlecht, ein wenig Korrektiv in der allgemeinen Lobhudelei und Scheinheiligkeit. Doch auch Töne des Friedens sind zu hören, und immer wieder Umkehr und Buße, Trost und Hilfe für die Leidenden.
Nach langwierigen und sachlich kompetenten Untersuchungen nimmt die Römisch Katholische Kirche zu bekannten Privatoffenbarungen Stellung. So kann die Echtheit bezeugt werden im Sinn, "dass es sich um Übernatürliches handelt" - oder es wird Zweifel oder sogar Ablehnung angezeigt (wie in Garabandal, Heroldsbach, Wigratzbad usw.). Diese Anerkennung bedeutet eigentlich nur, dass die Erscheinung mit ihren Inhalten und Umständen nicht der Lehre der Kirche und vor allem nicht der einzig gültigen Offenbarung Gottes im biblischen Jesus Christus widerspricht. Im Übrigen wird mit Spannung ein päpstliches Dokument zu Medjugorje erwartet, das demnächst (2016?) erscheinen soll. Aufsehen erregt hat die Bemerkung des Papstes Franziskus bei einer Kurzpredigt: "Maria ist keine Postbotin, die einzelnen Personen Nachrichten bringt."
Noch eine letzte Bemerkung: auffallend ist bei Wallfahrtsorten eine Jahrtausende lange, kultur- und religionsüberdauernde Überlebenskraft. Griechen und Römer haben archaische Orte mit neuen Tempeln geheiligt, Christen haben diese zerschlagen und z.B. eine Petruskirche oder ein Marienheiligtum darüber gebaut. Ein Satz, der mich zum Denken brachte: die Wallfahrtsorte bleiben, die Religionen wechseln sich ab. Auch Beigaben wie heilendes Wasser, Felsen, Bäume, Auffindung von Bildern, Erscheinungen usw. finden sich fast gleich in vielen Kulturen. Allerdings ist Maria in der Neuzeit meist an noch unberührten Orten erschienen, also historisch neu sinnstiftend, und dazu noch fern der Städte, Klöster und Kirchen an einsamen Orten der Natur, dazu noch Kindern...
"Im aktuellen Kunstdiskurs hat der Begriff ‚Kitsch‘ viel von seinem kritischen Potential eingebüßt, nachdem Künstler wie Jeff Koons sich damit spielen und Kitsch quasi hoffähig gemacht haben. In einer völlig pluralisierten Welt, in der die Wächter der Kunst oft nur noch Wächter der Pluralität selbst sind und über Werte kaum noch diskutiert werden kann, verliert der Begriff seine Mahnkraft. Doch mit Kitsch kann man nur spielen, weil es eben Kitsch ist oder man ergibt sich der Devise des ‚anything goes‘." (Markus Hofer klick )
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